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"Ein Gast wurde von Gott gesandt"

von Webmaster (Kommentare: 0)

Eindrücke von einem Besuch in Georgien

Die Loslösung von der damaligen Sowjetunion, der darauf folgende Niedergang der einstmals blühenden Wirtschaft und der 5-Tage Krieg im August 2008 haben in Georgien sicherlich ihre Spuren hinterlassen. Es mehren sich jedoch die Anzeichen, dass es wieder aufwärts gehen könnte, und vor allem: die Georgier haben ihren Lebensmut nicht verloren!

Kein Massentourismus, einzigartige Landschaften, Baudenkmäler in Hülle und Fülle sowie ein mildes Klima machen Georgien zu einem ganz besonderen Reiseland. So steht es in verschiedenen Reiseführern zu lesen, und eigentlich stimmt es auch, wäre da nicht der dunkle Schatten des Krieges mit Russland oder die zunehmend kritische Haltung gegenüber dem Präsidenten Michail Saakaschwili. Ungeachtet dessen, Georgien ist eine Reise wert, und wäre es nur, um die sprichwörtliche Gastfreundschaft seiner Bewohner kennen und schätzen zu lernen.

„Als Gott das Land an die Völker verteilte, verspäteten sich die Georgier. Zuerst zürnte er, denn alles Land war bereits verteilt. Doch die Fröhlichkeit und der Charme der Menschen versöhnten ihn recht schnell und Gott schenkte den Georgiern den Flecken Erde, den er eigentlich für sich selbst reserviert hatte.“ Auch wenn es eine Legende ist: das kleine Land im Herzen des Kaukasus hat mit den höchsten Bergen Europas, palmengesäumten Stränden mit subtropischer Flora an der Ostküste des Schwarzen Meeres und den Weinhängen im ältesten Weinanbaugebiet der Erde eine schier ungeheure Vielzahl an Attraktionen zu bieten, die sich am besten in einer kleinen Gruppe oder sogar individuell entdecken lassen.

Keine Angst, Georgien kann wieder problemlos besucht werden, mit Ausnahme von Südossetien, Abchasien und dem Grenzgebiet zu Russland, wo aufgrund der immer noch unsicheren Lage von einer Reise abzuraten ist.

Hauptstadt mit Geschichte und Charme

Im Mittelpunkt eines jeden Georgien Besuches steht mit Sicherheit die Hauptstadt Tbilissi, mit rund 1,4 Millionen Einwohnern die größte georgische Stadt. Sie liegt in einem Talkessel, wobei sich das eigentliche Zentrum terrassenförmig an den Ufern der Mtkwari erstreckt. Der Name Tbilissi leitet sich aus dem georgischen "tbili" ab, was so viel wie warm bedeutet, ein Hinweis auf die heißen Schwefelquellen, die Ruhe und Entspannung versprechen.

Tbilissi vermittelt auf den ersten Eindruck nicht gerade den Eindruck von Ruhe und Entspannung, ganz im Gegenteil: es ist eine ungeheuer dynamisch wirkende, pulsierende und gar aufregende Stadt, was sicherlich auch auf den alles übertönende Autoverkehr zurück zu führen ist. Die Georgier haben sowieso ihre eigenen Vorstellungen von Regeln im Straßenverkehr, wobei es die eigentlich wohl gar nicht gibt. Fahrten mit Taxis oder den Kleinbussen im Innenstadtverkehr führen so gesehen zu manchem Aha-Erlebnis, zumal jeder Georgier davon überzeugt ist, der beste Fahrer zu sein.

Die malerische Altstadt mit ihren kleinen Holzhäusern, die zahlreichen Kirchenkuppeln und das bunte Gemisch der Stadtarchitektur lassen eine faszinierende Atmosphäre aufkommen: russischer Klassizismus, Jugendstil, sozialistischer Monumentalismus, Barock und islamischer Dekor sind Spiegelbild der verschiedenen Traditionen, Lebensweisen, Religionen und Kulturen, die sich in Tbilissi vereinen – und am besten natürlich zu Fuß erkundet werden.

Die Festung Narikala, die Schwefelbäder, die Kathedrale von Sioni und die Basilika von Antschischati, die Oper oder das Staatliche Museum und viele weitere Museen, sie alle lassen den (vergangenen) Reichtum und die unterschiedlichen Einflüsse der Kulturen über Jahrhunderte hinweg spürbar werden. Wer an solchen kulturellen Highlights weniger Interesse hat, dem seien mit der Rustaweliprospekt und dem Tschawtschawadseprospekt die beiden Haupteinkaufsstraßen empfohlen. Zum Flanieren und zum Beobachten taugen sie allemal, genauso gut wie die Cafes in der Altstadt, die fast an Straßencafes in Rom erinnern.

Vielleicht liegt es auch daran, dass Tbilissi und Rom auf dem gleichen Breitengrad liegen, aber es ist schon ein fast südländisches Flair, das in diesen geschäftigen Straßen zu fühlen ist. Und daran haben die Menschen und vor allem die hübschen jungen Frauen wieder einen großen Anteil: lässig, elegant gekleidet und mit einem unwiderstehlichen Charme ausgestattet, der vieles leichter macht. Die Preise in den kleinen Restaurants und Cafes sind mehr als moderat und spätestens hier sollten auch die einheimischen Gerichte gekostet werden, wie zum Beispiel Chinkali, gefüllte Teigtaschen, oder Chatschapuri, ein Art Käsebrot aus Weizen oder Mais mit eingelassenem jungen Käse.

Ebenfalls sehr beliebt sind vielerlei Gerichte aus Auberginen sowie aus grünen oder roten Bohnen, Lobio genannt – aber diese Vielfalt der georgischen Küche muss jeder für sich selbst entdecken. An dieser Stelle sei auch die georgische Sprache erwähnt, die ein eigenes Alphabet hat. Während in Tbilissi häufig Englisch gesprochen wird und erstaunlich viel auch die deutsche Sprache zu hören ist, wird dies auf dem Land schon etwas schwieriger. Hier sollten zumindest einige Grundbegriffe bekannt sein. Übernachten ist in Tbilissi selbst kein Problem: vom internationalen Vier-Sterne-Hotel bis zur Privatunterkunft ist alles vorhanden.

Was besonders auffällt, ist die Sauberkeit in der Stadt. Schon morgens wird eifrig gekehrt, nicht nur von der Stadtreinigung, sondern auch von den Menschen selbst, vor ihren Häusern oder Geschäften, so als gelte es, sich damit wieder auf den neuen Tag vorzubereiten. Und noch eins ist auffällig, aber eigentlich typisch für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion: der offen zur Schau gestellte Reichtum, mit Nobelkarossen aus Deutschland, eigenen Fahrern oder eigenen Leibwächtern.

Kaukasus und Schwarzes Meer: nur zwei Highlights unter vielen

Auch wenn es von Tbilissi nach Batumi am Schwarzen Meer "nur" rund 400 km sind, kann die Fahrt mit dem Bus schon gut und gerne acht Stunden dauern. Dies liegt zum einen an den Straßenverhältnissen, die keinesfalls mit Deutschland verglichen werden dürfen und andererseits an den Pausen, die zwischendurch eingelegt werden.

Töpferwaren, Honig oder Trinkhörner, die Auswahl an Souvenirs am Straßenrand lockt immer wieder an. Mit der Hafenstadt Batumi erreicht man eine wirklich grüne Stadt, mit vielen Parks, Alleen und einer zwei Kilometer langen Uferpromenade am Schwarzen Meer. In Batumi leben Georgier, Armenier, Juden Russen und Türken, weshalb man in der schön restaurieren Altstadt Synagogen neben orthodoxen Kirchen und Moscheen findet, sogar eine katholische Kirche ist noch vorhanden.

Batumi ist berühmt für seinen Kaffe, der als bester Kaffe in ganz Georgien gilt. Selbst im Oktober ist das Klima so mild und das Schwarze Meer noch so angenehm warm, dass ohne Probleme gebadet werden kann. Was will der Mensch mehr? Antwort: noch mehr von Georgien entdecken, was natürlich stark von der Reisedauer abhängig ist. Im Falle unserer Reisegruppe war es vor allem das an der alten Georgischen Heerstraße gelegene Ananuri Ensemble, das mit der prächtig verzierten Kirche begeisterte. Im gleichen Sinne hinterließ die Höhlenstadt Uplisziche bei Gori bleibende Eindrücke: bereits in der Bronzezeit wurden in den hier anstehenden Felsen Höhlen geschlagen, die bis ins späte Mittelalter bewohnt blieben. Das Dschwari-Kloster mit Blick auf die alte Hauptstadt Mzcheta, nicht weit weg von Tblissi gelegen, gilt als eines der größten Meisterwerke georgischer Architektur. Seine Lage an einem Steilabhang am Zusammenfluss von Mtkwari und Aragwi macht es zu einem beeindruckenden Monument georgischer Kultur- und Religionsgeschichte.

Wirtschaftlicher Aufwärtstrend – fehlende Ausbildungsmöglichkeiten

Georgien war bis 1990 ein begehrtes Touristenziel, und dies nicht nur bei den Ländern Osteuropas. Es war zugleich auch das reichste Land der damaligen Sowjetunion, was sich 1991 aber radikal änderte: mit seiner Unabhängigkeitserklärung brach die Wirtschaft komplett zusammen, da die Absatzmärkte der Sowjetunion nicht mehr zur Verfügung standen. Das Produktionsvolumen sank um ein Viertel gegenüber den Vorjahren, über 20 % der Bevölkerung verließen das Land. Hinzu kam, dass sich mehrere Provinzen ebenfalls unabhängig von Georgien erklärten und rund eine viertel Million Vertriebene in das kleine Land strömten, das damit schlichtweg überfordert war.

Der Fünf-Tage-Krieg im August 2008 brachte weitere Probleme mit sich, vor allem hinsichtlich eines unerwartet hohen Flüchtlingsstroms von über 100.000 Menschen, die dringend ein Dach über dem Kopf benötigten. Nur mit Hilfe ausländischer Gelder konnten die großen Wohnungsbauprojekte für Flüchtlinge realisiert werden. Die Finanzhilfen (2009 waren es rund 700 Mio. Euro, 2010 sollen es 1,5 Mrd. Euro sein, so die Angaben der Germany Trade & Invest) fließen vor allem in den Straßenbau, einiges davon kommt aber auch dem Wohnungsbau zugute, wo es insbesondere um Häuser und Wohnungen für Familien aus Erdbebengebieten geht.

So sind erste Anzeichen einer Wiederbelebung des Marktes spürbar, und zwar nicht nur in der Hauptstadt Tbilissi, sondern auch zum Beispiel an der Schwarzmeerküste. Dort stehen neben dem Neubau von Hotels auch neue Gewerbe- und Industriegebiete im Vordergrund. In der Hafenstadt Batumi wird zur Zeit die Trinkwasserversorgung der Altstadt komplett erneuert, was in den engen Gassen viel Handarbeit und umsichtiges Vorgehen erfordert. Businesszentren, Logistikparks und Flächen für Industriekonzerne sind weitere Großprojekte, von denen neue Arbeitsplätze erhofft werden. Eine Freihandelszone in Kutaissi soll ab 2012 rund 20.000 Menschen aus der Region Beschäftigung bringen. Dazu sollen laut dem georgischen Ministerium für Wirtschaftsentwicklung in den kommenden drei Jahren rund 3 Mrd. $ investiert werden. Bei diesem Projekt stammen die Investoren aus Ägypten.

In der Planung befindet sich außerdem eine Freihandelszone am Flughafen von Tbilissi. Innerhalb von 43 Monaten könnten dort für 25 Mio. $ die Voraussetzungen für die Ansiedlung von Produktionsstätten geschaffen werden. Die Regierung verspricht sich von diesem Projekt 1.000 neue Arbeitsplätze. Deutsche Unternehmen wie Knauf (u.a. ein Gipskartonwerk) und Heidelberg Cement (drei Zementwerke) sind inzwischen ebenfalls in Georgien engagiert und sehen trotz der schwierigen Marktsituation eher optimistisch in die Zukunft (so die Aussagen von Germany Trade & Invest).
Neben der Arbeitslosenquote, die in den Großstädten offiziell mit rund 25 % angegeben wird, ist es vor allem die fehlende handwerkliche Ausbildung, die große Sorgen bereitet.

Universitäten haben eine große Anziehungskraft auf die Jugend in Georgien - leider gibt es kaum sonstige adäquate Ausbildungsstellen, die die dringend benötigte Qualifizierung der Jugendlichen sicherstellen können. Ausländische Investoren bringen daher fast ihr gesamtes Personal mit, was natürlich kein Dauerzustand sein darf.

Improvisationsfreude und Lebensfreude

Genauso wichtig wie ein Besuch der Sehenswürdigkeiten ist die Begegnung mit den Menschen in Georgien, und damit sind wir beim eigentlich wichtigsten Punkt der hier geschilderten Eindrücke. Der Jugendaustausch zwischen den beiden Oberstufenorchestern der Waldorfschulen Saarbrücken und Tbilissi stellte genau diesen menschlichen Aspekt mit in den Mittelpunkt der Konzertreise. Neben den gemeinsamen Konzertauftritten, u.a. auch in einem Flüchtlingsdorf in der Nähe von Tbilissi, und der gemeinsamen Probenarbeit war es vor allem das Wohnen in den Gastfamilien und somit die Teilnahme am „alltäglichen“ Leben, die diesen Jugendaustausch so entscheidend prägte.

Wer einmal eine Einladung zu einem Abendessen in einer Familie erleben durfte, weiß, dass die so oft beschworene Gastfreundschaft (und damit das Zitat in unserer Überschrift!) kein hohles Wort ist, ganz im Gegenteil: sie ist lebendiger denn je. Dieser Eindruck ist es, den Georgien uns heute vermittelt. So schwierig die Zeiten nach der Ablösung von der Sowjetunion auch sein mögen, die grundlegende Einstellung zum Leben und zu Gästen hin hat sich nicht geändert. Viel Improvisation war notwendig, um über 70 Jugendliche im wahrlich „richtigen“ Alter zwischen 14 und 20 Jahren zusammen zu halten, aber all dies wurde bewältigt mit einer in Deutschland kaum denkbaren Gelassenheit und Freude. „Gleich“ lautete das georgische Stichwort, wenn es wieder etwas länger dauern sollte als geplant, und letztendlich klappte doch immer alles!

Vielleicht ist damit das Interesse geweckt, Georgien und seine Menschen selbst zu erleben – es kann uns allen nur helfen.

Auf einen Blick

Bei der Suche im Internet nach georgischen Seiten sollte man "Georgien Kaukasus" oder "Georgia Caucasus" eingeben, um nicht die Seiten des gleichnamigen US-Bundesstaats angezeigt zu bekommen. Zwei interessante Seiten sind:

www.georgia.travel und www.ttc.ge

Informative Reiseführer sind "Georgien entdecken" (Trecher-Reihe Reisen) sowie Marlies Kriegenherdt "Georgien" aus dem Reise Know-How Verlag.

Die Einreise für EU-Bürger ist unproblematisch: mit einem mindestens noch sechs Monate gültigen Reisepass kann man maximal 90 Tage in Georgien bleiben. Direkte Flugverbindungen nach Tbilissi bestehen u. a. über Frankfurt, München oder Köln. Die Flugzeit beträgt rund 4 bis 4,5 Stunden. Die besten Reisezeiten sind ab April bis Juni/Juli und September/Oktober. Die georgische Währung ist der Lari, 1 € entspricht rund 2,52 GEL (Stand: Dezember 2009). Hotels akzeptieren gängige Kreditkarten.
 
Text und Fotos: Helmut Strauß

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