Sonstige Berichte

Journalistische Arbeiten die auch einmal etwas von dem Alltäglichen abweichen.

Im Mittelpunkt

von Helmut Strauß (Kommentare: 0)

„Funktional, zeitlos, robust – und – sie muss natürlich in unser altes Haus passen.“ Aber das war nicht der einzige Anspruch an die neue Küche von Carmen und Helmut Müller: „Es sollte auch Spaß machen, drin zu kochen, denn genau das ist für uns am Wochenende oder abends wirklich eine Ablenkung vom stressigen Berufsleben!“ 

Die alte Küche aus Studentenjahren hatte inzwischen ihre 20 Jahre auf dem Buckel, und das war ihr deutlich anzusehen. Aber wie immer, mit dem reinen Austausch der Küchemöbel war es auch in diesem Fall nicht getan. Bei dem Haus handelt es sich immerhin um eines der wenig erhaltenen Relikte eines ehemaligen Bergmanns Weiler, fast 300 Jahre alt und aus Platzgründen in den neunziger Jahren behutsam erweitert. 

Um das alte Haus in seinen Proportionen nicht zu stören, wurde neben dem „Altbau“ ein quasi neues Haus errichtet, das über eine Glas - Stahlkonstruktion (die als Treppenhaus und Wintergarten genutzt wird) eine gelungene Verbindung zum alten Teil findet.

Schon die Großmutter nutzte das Grundstück als Obst- und Gemüsegarten, viele der alten Bäume und Gartenstrukturen sind immer noch vorhanden oder sichtbar, sodass gerade der neue Gebäudeteil auch auf das Bestehende Rücksicht nehmen musste, ohne dabei historisierend zu wirken. 

Von daher sollte auch die neue Küche alt mit neu verbinden, und zugleich den Essbereich mit Tisch und alter Wanduhr mehr in den Vordergrund rücken. Der heutige Essbereich diente zu Großmutters Zeiten als Schlafzimmer. Im Zuge des Um- und Anbaus in den neunziger Jahren wurde die tragende Wand bis auf drei Holz – Stützpfeiler vorsichtig entfernt, die nun wie ein Raumteiler wirken. 

Der geölte Holzfußboden des Essbereichs zeigt deutlich seine Nutzungsspuren, die insbesondere auf den lebhaften Appenzeller Hund mit Namen Anuk zurückzuführen sind, aber das gehört einfach dazu. „Unser Haus ist absolut nicht steril, hier leben und arbeiten wir, und dann bleiben solche Spuren nicht aus!“

Daher blieb der Holzfußboden erhalten, die alten weißen Fliesen in der Küche waren jedoch zu stark mitgenommen und sollten durch Naturschiefer ersetzt werden. „Fingerproben“, das heißt einfach mal mit dem Fingernagel in eine Schieferplatte ritzen, zeigten jedoch schnell die Grenzen des Natursteins auf, sodass anstelle des Schiefers auf ein leicht grau, schwarz schattiertes Feinsteinzeug zurückgegriffen wurde.

Dieses erinnert in Farbe, Form und Maserung zwar deutlich an Schiefer, ist aber weitaus weniger empfindlich und kann durchaus gröber behandelt werden, wie es in einer belebten Küche immer wieder vorkommt.

Die Wände bildeten schon die nächste Baustelle.

Die langweilige Raufasertapete musste einem weißen Mineralputz weichen, damit die großformatigen Drucke von Ester Bach noch besser zu Geltung kommen. „Die weiße Farbe lässt viele verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten zu, sodass wir auch in dieser Beziehung flexibler und zeitlosen agieren können.“ Der mineralische Feinputz (Körnung 1 bis 2 mm) wurde an den in den anderen Innenräumen schon zum Teil vorhandenen Putzstil angeglichen, um ein möglichst einheitliches Bild zu schaffen.

Ein dermaßen neu gestalteter Raum – und von der eigentlichen „Küche“ haben wir ja noch gar nicht gesprochen – lebt und wirkt nur durch und mit seiner Beleuchtung. Also weg mit der trüben, alten Deckenfunzel und den ewig alten Down- Lights und hin zu den in der Decke eingelassenen LED Leuchten, die in der Küche einen vollkommen neues Raum – Empfinden vermitteln. Die Decken LED’s erzeugen mit ihren 7 Watt ein mildes, aber keineswegs milchiges Licht, das eine sehr schöne und weiche Ausleuchtung des Raumes insgesamt ermöglicht.

Zusammen mit den LED Leuchten oberhalb der Arbeitsplatte ergibt dies ein komplett neues Verständnis des Arbeitsplatzes, wie beide Eheleute übereinstimmend feststellen. Über dem Esstisch ist eine italienische Pendolino Leuchte montiert, die schlicht und dennoch sehr elegant den kleinen Essbereich ausleuchtet. „Wir wussten gar nicht, welche Möglichkeiten man mit der passenden Beleuchtung hat, die uns doch bestens bekannten Räumlichkeiten ganz anders wirken zu lassen,“ so Carmen Müller zu dieser nicht nur für sie ganz neuen Erfahrung.

Nicht alles kann nach Plan laufen Und jetzt endlich zur eigentlichen Küche, die diese vielen, und im Nachhinein betrachtet, sehr sinnvolle Umbau - Aktivitäten ausgelöst hatte.

Großraum Spülmaschine, Induktionskochfeld, Einbau-Backofen, Backherd, Dampfgarer, Mikrowelle – dies sind die wesentlichen Eckpunkte bei der Auswahl der Einbaugeräte und der damit anvisierten Technik, insbesondere, was Koch- und sonstige Zubereitungsmöglichkeiten anbelangt. Ein Schiebetürschrank und die Küchenarbeitsplatte aus 40 mm Eiche mit durchgehenden Lamellen runden zusammen mit den Hängeschränken die Ausstattung der Küche ab, die den vorhandenen und beschränkten Raum möglichst effektiv und „produktiv“ nutzen soll. Dabei nimmt das Kochfeld fast die Mitte des Raumes ein, nicht um ihn zu dominieren, sondern um des Arbeitsplatzes willen. Anders ausgedrückt: Mittelpunkt der Arbeit, Mittelpunkt des gemeinsamen Zusammenseins. 

Die Arbeitsplatte aus Eichenholz war dabei zunächst auch nicht unumstritten. Die erste Planung sah eine rote Arbeitsplatte aus Kunststein vor, äußerst unempfindlich gegen Schnitte mit dem Messer, herunterfallende Gläser, Fettspritzer oder ähnliches, wie es in jeder Küche tagtäglich vorkommt – „aber schließlich erschien sie uns zu dominant - und irgendwann hätten wir uns dran satt gesehen. Also kamen wir wieder auf die bewährte Eiche zurück, die wir regelmäßig einölen und das haben wir bisher nicht bereut!“

Nicht nur „eine“ Baustelle...

Die Abzugshaube konnte nicht, wie zunächst geplant, vollständig in der Decke verschwinden: Der Verlauf der Deckenbalken und ein bis dato nicht bekannter Unterzug ließen die „optimale“ Planung an dieser Stelle scheitern, sodass die Haube jetzt doch sichtbar, aber zurückhaltend aus der Decke hervortritt. Aber das haben alte Häuser halt so an sich, der eilends herbei gerufene Statiker staunte eh nicht schlecht über die alten Holzbalken, die beim Öffnen der Decke zu Vorschein kamen: „Dass das überhaupt so lange gehalten hat...“Die Entscheidung zur Korpusfarbe Cubanit war das Ergebnis einer langen Diskussion.

Während die Vorgängerküche von den weißen Fliesen, den weißen Schränken, den weiß gestrichenen Raufaserwänden und dem Holzfußboden unter dem Esstisch bestimmt war, ziehen mit den schieferfarbigen Fliesen und den leicht kupfergrauen, fast metallisch schimmernden Cubanit Türen und Schubfächern warme und gleichsam leicht wirkende Farben in die Küche ein. Zusammen mit der neuen Deckenbeleuchtung ergibt sich ein vollkommen anderes Raumgefühl, das auch der Arbeit – wenn es denn eine ist – eine neue Qualität verleiht. Leicht, warm, gemütlich und dennoch „praxisorientiert“, wenn es um Flecken, Spritzer, Schmutz oder einfach das „Arbeiten“ mit all seinen Begleiterscheinungen geht. Verbindet alt mit neu – in mehrfacher Hinsicht.

Für Carmen Müller hat die Auswahl der Farben zusammen mit der Neugestaltung der Küche gar noch einen viel tiefer gehenden Hintergrund: „Die Schieferfarben erinnern mich stark an die hier natürlich anstehenden Kohleschiefer, die unsere Böden und unsere Landschaft wesentlich prägen. Unser Haus verbindet auch altes mit Neuem, fast so ähnlich, wie der Kohleabbau hier zu Ende geht und sich neue Folgenutzungen etablieren. Vielleicht hat dies unsere Überlegungen zur Neugestaltung unserer Küche doch auch wesentlich mitbestimmt, ohne dass wir es zunächst so begriffen haben!“

Text: Helmut Strauß
Fotos: Mechthild Schneider

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